Sonntag, 26. Dezember 2010

Stressmanagement: Wenn der Perfektionismus Pause hat

Absolventen eines berufsbegleitenden Studiums wären ideale Versuchsobjekte für die Stressforschung. „Wer sich neben dem Job weiterbildet und womöglich Familie hat, ist stark gefährdet“, sagt Evelyn Miksch, die sich als Wirtschaftstrainerin auf Stressmanagement und Entspannungstechniken spezialisiert hat. Da gelte es, „ganz klare Prioritäten zu setzen, zu fragen: Was soll erhalten bleiben? Das sind vor allem die Gesundheit, aber auch Sozialkontakte. Natürlich wird man sie reduzieren müssen. Aber mit einer Handvoll echter Freunde in Kontakt zu bleiben, kann gerade in Krisensituationen sehr hilfreich sein.“ Für die Psychotherapeutin, Psychoanalytikerin und Stressforscherin Rotraud Perner ist hingegen „die beste Methode, bei sich selbst zu bleiben und sich nicht unreflektiert äußeren Umständen – Quälgeister mitgemeint – zu unterwerfen.“ Perner definiert Stress als die individuelle Ausschüttung von Stresshormonen, nicht als Zeit- oder Leistungsdruck. „Den habe ich zum Beispiel auch, aber ich habe keine Stressbelastung, weil ich weiß, wie man durch gezielte Lenkung der Aufmerksamkeit auf Atmung und Herzschlag gegensteuert.“

Arbeitsdichte und Angst

Dass abgesehen von Mehrfachbelastungen auch der Beruf allein genügend negativen Stress mit sich bringen kann, wird durch etwa eine halbe Million Österreicher belegt, die laut mehreren Studien von Burn-out betroffen sind. „Zu den Problemen gehören vor allem die Arbeitsverdichtung – immer mehr Arbeit in immer kürzerer Zeit–, die Schnelligkeit, mit der Information verarbeitet und kommuniziert werden muss und die oft zu einer geistigen Überforderung führt“, sagt Brigitte Zadrobilek, Chefin des Seminaranbieters „stresscoach.at“. Perner sieht einen wesentlichen Stressfaktor auch in den Dominanzansprüchen „vorgesetzter“ Personen. „Wer selbst Angst hat, seine Position – beruflich wie privat – zu verlieren, neigt dazu, auch anderen Angst zu machen. Angst bedeutet aber immer Verengung – der Blutgefäße, der Herzkranzgefäße, des Blickwinkels, der Denkmöglichkeiten.“ Sofern Arbeitgeber nicht von sich aus das Thema „Stressvorbeugung“ aufgreifen, bleibt einzelnen Mitarbeitern oder Führungskräften nur zu lernen, auf persönlicher Ebene besser mit Stress umzugehen. Nach Brigitte Zadrobileks Seminarerfahrung „schauen die Leute am Anfang immer gern dorthin, wo sie nichts ändern können – auf das Headquarter oder die Geschäftsleitung –, und nicht auf den Punkt, an dem sie selbst etwas ändern können. Meine Aufgabe ist, hier Transparenz zu schaffen.“


Entspannung als Kalendertermin



„Stress macht nachlässig“, sagt Zadrobilek. „Man hört nicht mehr auf die eigenen Bedürfnisse, verzichtet auf Bewegung, auf Essen und Trinken, übergeht Schlafstörungen. Das ist oft der Beginn von Burn-out.“ Ihre Grundregel dagegen lautet „nicht noch mehr desselben“. Also nicht noch mehr Hektik, wenn es ohnehin schon hektisch ist. In Spitzenzeiten wie zum Beispiel den – auch beruflich – oft hektischen Tagen der Vorweihnachtszeit sei alles, was für Ausgleich, Erholung und Entschleunigung sorge, geeignet, um die Batterien wieder zu füllen: frische Luft, Bewegung, Kreativität, Entspannungsübungen. „Sonst wird man immer dünnhäutiger und das Nervenkostüm immer schwächer.“ Es sei daher auch wichtig, „den Stress dann abzubauen, wenn er da ist, und nicht auf das Wochenende oder den Urlaub zu warten“. Und wenn im Alltag für den notwendigen Ausgleich, die stille Stunde, den Tratsch mit Freunden, den Spaziergang an der frischen Luft keine Zeit bleibt? Vorher einplanen, so Miksch. „Man sollte den Ausgleich genauso in den Kalender eintragen wie die Verpflichtungen. Denn alles, was man nicht einplant, bleibt auf der Strecke.“


Perfektionismus abstreifen



Zu bekämpfen bleibt bei aller Krisenbewältigung noch ein Stressfaktor, der laut einhelliger Expertenmeinung vor allem Frauen krank macht – das perfektionistische Weltbild: zu hohe Ansprüche an sich selbst und das Ideal, in Karriere und Familie gleichermaßen erfolgreich zu sein – und es dabei auch noch allen recht zu machen. Kommt noch ein berufsbegleitendes Studium hinzu, gerät unter Umständen nicht nur der Arbeitsplatz, sondern auch die Partnerschaft ins Wanken. „Hilfe annehmen“, lautet der Expertenrat. „Man muss nicht immer beweisen, dass man unabhängig ist“, sagt Evelyn Miksch.

Klaus Firlei, Professor für Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Salzburg, weist darauf hin, dass Perfektionismus auch eine juristische Konsequenz nach sich ziehe. „Arbeitgeber haben eine gesetzliche Präventionspflicht“, müssen also Arbeitsbedingungen garantieren, die das psychische und physische Wohl des Arbeitnehmers nicht beeinträchtigen. Die regelmäßige Evaluation des Istzustandes betreffe auch Burn-out-Risken wie übermäßige Überstunden oder zu hohen Arbeitsdruck. Kommt es dadurch zu einem Arbeitsausfall, können Sozialversicherungen gegen Arbeitgeber Regress nehmen – wenn belegbar ist, dass die Hauptursache die Arbeit war. „Doch gerade das ist bei Frauen – die oft merhfach belastet sind – das Problem“, sagt Firlei. Sich auch im privaten Bereich übermäßig zu stressen, nützt also niemandem. Das Nachdenken darüber könnte in einen guten Vorsatz für das neue Jahr münden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.12.2010)