Montag, 2. Mai 2011

Hilfe gegen Angst vor informellen Machtstrukturen

STANDARD: Junge, unerfahrene Vorgesetzte trifft es häufig wie ein Blitzschlag: Sie regen oder ordnen etwas an, und sie laufen ins Leere. Warum, weshalb, sie können es sich nicht erklären. Helfen Sie ihnen dabei!

Mayrhofer: Das ist tatsächlich eine häufige Erfahrung. Und wir kennen das insbesondere von jungen Absolventen nach dem Studium oder von Personen, die zum ersten Mal in einer Führungsposition sind. Einflussnahme zur Zielerreichung - und jede Art von betrieblicher Führung stellt wohl letztlich darauf ab - braucht eine Basis. Wir unterscheiden grundsätzlich zwischen fünf Arten von "Machtkapital", die man dafür benutzen kann: belohnen oder bestrafen; in einer entsprechenden hierarchischen Position mit entsprechenden Befugnissen sein; über überlegenes Expertenwissen verfügen; eine persönliche Ausstrahlung, sodass sich Mitarbeiter mit dem Vorgesetzten identifizieren können, und schließlich die Möglichkeit, für die Arbeit wichtige Information zu beschaffen und zu kontrollieren. Wer Schwierigkeiten der genannten Art hat, verfügt wohl letztlich nicht über genug "Machtkapital" in diesen Bereichen. Oder es gibt jemand anderen, zum Beispiel aus dem informellen Netzwerk, der hier besser "zahlt".

STANDARD: Gleichwohl fragen sich diese so Praxisgeschockten: Was habe ich falsch gemacht?

Mayrhofer: Nach meiner Erfahrung sind es drei Dinge. Erstens: Ich kann nicht realistisch einschätzen, ob mein Machtkapital ausreicht. Manche Vorgesetzte überschätzen ihr Expertenwissen, glauben, sie hätten eine gute Beziehung zu ihren Mitarbeitern, und kommen dann drauf, dass das von der anderen Seite nicht so gesehen wird. Zweitens: Viele Vorgesetzte holen sich zu wenig Rückendeckung von ihren eigenen Vorgesetzten. Wenn klar ist, dass hinter einem noch jemand anderer Wichtiger steht, dann zählt man auch selbst mehr. Und drittens: Insbesondere unsichere Führungskräfte nehmen sich zu ernst und können weder über sich selbst noch mit den anderen lachen. Das führt zum paradoxen Effekt: Wer immer ernst genommen werden will, der wird nicht ernst genommen. Wer als junger Vorgesetzter zu diesem "Jungsein" und damit zu dem dazugehörenden Mangel an Erfahrung steht, sich lernbereit gibt und die zwangsläufige eigene Unsicherheit nicht mit Auftrumpfen überspielt, kommt besser an.

STANDARD: Nun kommt zu diesem ersten Praxisschock rasch der zweite in Gestalt der Frage: Wie auf diese "Unbotmäßigkeit" reagieren?

Mayrhofer: Erstens: entspannt. Manchmal entsteht das Problem erst dadurch, dass eine kleine, sogenannte Abweichung dann zu einer großen Sache aufgebauscht wird. Zweitens: aufmerksam. In aller Regel ist in dem gezeigten Verhalten eine Botschaft enthalten, auf die zu achten ist. Sogenannter Widerstand ist nicht per se schlecht, sondern auch ein Indikator für Bedürfnisse von Mitarbeitern und ein Signal des Systems. Drittens: lernbereit. Mitarbeiter schätzen es sehr, wenn ihre Chefs auf Signale "von unten" reagieren - und für die Chefs selbst ist das eine große Lernquelle.

STANDARD: Wenn es auch den jungen Chefs ganz besonders zu schaffen macht - auch ältere Vorgesetzte haben oft ihre liebe Mühe mit den "Mitbestimmern" hinter den Kulissen. Woraus erwächst deren Macht und Einfluss?

Mayrhofer: Das ist meist relativ klar. Solche Personen kennen das System, verfügen über ganz viel implizites Wissen, wie man Dinge macht oder auch verhindert. Und sie haben viele Beziehungen, die sie über lange Jahre aufgebaut haben. Dadurch sind ihnen wiederum oft Personen verpflichtet, sie können selbst auf "Rückzahlung" pochen für früher erwiesene Gefälligkeiten. Und wer über Wissen und Beziehungen verfügt, der ist King.

STANDARD: Sind die, die hinter den Kulissen auf ihre Weise mit an den Fäden des betrieblichen Geschehens ziehen, stets und immer nichts als notorische subversive Quertreiber?

Mayrhofer: Überhaupt nicht! Ob Quertreiber oder nicht, das hängt davon ab, welche Zielsetzungen diese Personen verfolgen. Hinter den Kulissen Fäden zu ziehen ist eine hohe und durchaus auch positive Kunst. Schwierig wird es dann, wenn das zum Schaden der Arbeitsgruppe, für persönliche Rachefeldzüge oder zum ausschließlich eigenen Vorteil genutzt wird. Aber ich habe auch schon viele Konstellationen gesehen, wo ein solches Vorgehen das nicht immer durchgehend weise offizielle Gefüge klug ergänzt hat. Informell heißt ja nicht zwangsläufig "subversiv".

STANDARD: Gibt es so etwas wie ein Persönlichkeitsprofil dieser Gegenspieler der formellen Vorgesetzten?

Mayrhofer: Informelle Meinungsführer unterscheiden sich im Kern wohl nicht von anderen Führungspersonen. Auch sie müssen in einer Gruppe Bedürfnisse nach, wie wir sagen, Lokomotion und Kohäsion erfüllen. Vereinfacht gesprochen heißt das: schauen, dass inhaltlich was weitergeht in Richtung Aufgabenerfüllung und Zielerreichung einerseits und andererseits dazu beitragen, dass es ein gutes Klima in der Gruppe gibt. Vielleicht sind sie weniger bereit, eine offizielle Führungsposition zu übernehmen. Oft werden diese hinter den Kulissen wirkenden informellen Führungspersönlichkeiten auch von der Organisation in ihrer tatsächlichen Qualität nicht richtig eingeschätzt und dadurch für Führungspositionen als wenig geeignet angesehen.

STANDARD: Wie gehen kluge Vorgesetzte mit informellen Mitbestimmern um? Was lassen sie auf jeden Fall im Umgang mit ihnen sein?

Mayrhofer: Beides hängt vom Verhältnis der Zielsetzungen ab, die Vorgesetzte und informelle Führer eint oder trennt. Ziehen beide, wenn auch auf unterschiedlichen Wegen, am selben Strang, sind die beiden im Wesentlichen ident, dann sind Vorgesetzte außerordentlich klug beraten, wenn sie - unter entsprechender symbolischer und tatsächlicher Würdigung dieser Personen im Innenverhältnis - hier eine Koalition eingehen. Das bedeutet insbesondere, den entsprechenden Personen auch zu signalisieren, dass man auf sie zählt, dass die Art und Weise ihres Wirkens geschätzt wird und dass man sich als Teil des gleichen Teams versteht. Viel schwieriger ist es, wenn man hier einen echten Gegenspieler hat. Aber auch dann ist ein offenes Ansprechen der Problematik erfahrungsgemäß meist gut.

STANDARD: Woran erkenne ich als Vorgesetzter denn überhaupt, mit wem ich es hinter den Kulissen zu tun habe?

Mayrhofer: Das ist meist einfach. Mit ein paar Leuten über die Situation reden, auf Zwischentöne hören - und schon ist meist klar, woher der Wind weht. Für die eigene Arbeitsgruppe gilt das jedenfalls. In der großen Welt der Organisation ist das vielleicht ein wenig schwieriger. Aber auch dort führen Gespräche mit Personen, die die Interna gut kennen, in der Regel ganz schnell dazu, dass ein Name oder eine Gruppe immer wieder auftauchen. Ich brauche nicht alle Mosaiksteine, um mir das Bild vorstellen zu können, und die notwendigen Mosaiksteine finde ich meist schnell.

STANDARD: Auf welche Weise bilden sich informelle Strukturen?

Mayrhofer: Informelle Strukturen sind unvermeidlich, da die offizielle Struktur nicht alles abdecken kann, was bei der Zusammenarbeit in Organisationen erforderlich ist. Für den Bereich der persönlichen Beziehungen in der Arbeit ist das offensichtlich, denn die sind nicht im Zentrum des offiziellen Geschehens, aber trotzdem da und wichtig. Persönliche Beziehungen folgen ihrer eigenen Dynamik - zwar nicht unabhängig von der offiziellen Struktur, aber doch lose gekoppelt. Aber auch für den stärker arbeitsbezogenen Bereich kann die offizielle Struktur nicht alles abdecken. Es braucht die informelle Ergänzung, sozusagen die persönliche "Zutat" jenseits des offiziell Vorgegebenen. Und das meist zwingend. Am deutlichsten zeigt sich das in der Tatsache, dass Dienst nach Vorschrift in jedem Fall als eine Drohung verstanden wird. Wohl nur deswegen, weil man weiß, dass dann nichts mehr richtig funktioniert. Im Nebeneffekt macht das deutlich: Es lässt sich nicht alles regulieren und vorschreiben. Ganz im Gegenteil. Engagement im Interesse der Firma braucht zwingend (Ermessens-)Spielräume.

STANDARD: Professor Mayrhofer, Ihr abschließendes Wort zum Thema.

Mayrhofer: Informelle Beziehungen, die informelle Struktur ist ein wichtiger Teil der betrieblichen Realität. Gute Führungskräfte wissen darum, halten das auch nicht für gefährlich oder bekämpfenswert, sondern akzeptieren und nutzen das in ihrem Handeln. (Hartmut Volk/DER STANDARD; Printausgabe, 30.4./1.5.2011)

Wolfgang Mayrhofer ist Abteilungsvorstand der Interdisziplinären Abteilung für verhaltenswissenschaftlich orientiertes Management an der Wirtschaftsuniversität Wien.


Quelle: Der Standard, 01. Mai 2011, 20:37