Immer öfter werden Ein-Personen-Unternehmer als freie Dienstnehmer klassifiziert, was die Abgabenlast erhöht
Bereits vor einigen Jahren versuchte der Gesetzgeber, den geänderten Rahmenbedingungen der Arbeitswelt Rechnung zu tragen. Unternehmen hielten sich bei der Schaffung von Arbeitsplätzen zurück, kündigten ältere, aber erfahrene Arbeitnehmer und lagerten im Gegenzug unterschiedliche Dienstleistungen an externe Anbieter aus. Das Sozialsystem stand unter gehörigem Druck.
Das Ergebnis war der sogenannte Neue Selbstständige. Dieser, ein Ein-Personen-Unternehmer, sollte die Vorzüge des Kleinunternehmertums mit den Vorteilen einer gewissen arbeits- und sozialrechtlichen Absicherung verbinden.
Gedacht war diese Konstruktion etwa für Autoren, technische Zeichner, Therapeuten, freiberufliche Wissenschafter, Journalisten, Angehörige der Pflegeberufe, Künstler ohne Dienstverhältnisse oder Vereinsfunktionäre. Mittlerweile fallen auch Fahrradkuriere, Airport-Driver oder Tennislehrer unter diese Regelung - alle immer dann, wenn sie bestimmte, aber für den Nichtjuristen kaum bekannte Kriterien erfüllen.
Das Problem steckt wie immer im Detail. Wo ist die Abgrenzung vom weisungsfreien Neuen Selbst-ständigen zum weisungsgebunden Angestellten? Die Unterscheidung scheint aufs Erste banal zu sein, tatsächlich sind in ihr erhebliche finanzielle Fallen verborgen. Diese scheint die Sozialversicherung nun konsequent zuschnappen lassen zu wollen.
Der Neue Selbstständige erbringt seine Leistungen im Regelfall im Rahmen eines Werkvertrages: Er kann seine Arbeitszeit frei wählen und untersteht niemandem. Im Gegenzug ist er völlig frei in seiner Leistungsverpflichtung, kann sich bei der Erbringung des bei ihm bestellten Werks vertreten lassen und muss für Gewährleistungs- und Mängelpflichten voll und ganz einstehen. Er schuldet keine bestimmte zeitliche Verfügbarkeit und keine persönliche Arbeitspflicht, sondern ausschließlich das bei ihm bestellte Ergebnis.
Eigene Betriebsmittel
Die notwendigen Mittel, die er für die Erbringung seiner Leistung benötigt - etwa PC, Fahrrad oder Tennisschläger - muss der Neue Selbstständige beibringen (sofern dies überhaupt möglich ist). Dafür darf er über die Erbringung seines Werkes Rechnung legen und muss seine Einkünfte steuerrechtlich veranlagen. Zusammengefasst könnte man sagen: Wer einen "Chef" hat, der ihm sagt, wo es langgeht, ist kein Selbstständiger mehr.
Und genau in dieser Frage spießt es sich für die Sozialversicherung. Denn durch das Konstrukt des Neuen Selbstständigen entgehen ihr bedeutende Beiträge, etwa die Arbeitgeberanteile, die diese für Angestellte berappen müssen. Dafür hat die Sozialversicherung das Schlagwort der "Scheinwerkverträge" geprägt. Sie stellt auf den sogenannten wahren wirtschaftlichen Gehalt ab, negiert Vertragswerke zwischen Auftraggebern und -nehmern und beurteilt in letzter Konsequenz praktisch gar kein selbstständiges Vertragsverhältnis mehr als solches. Sobald nur irgendein Abgrenzungskriterium nicht mehr passt, wird sofort der Beitrag für einen freien Dienstnehmer vorgeschrieben, obwohl der Verwaltungsgerichtshof bereits 1997 forderte, dass die Gesamtheit aller Abgrenzungskriterien zu bewerten ist.
Trotzdem gab es allein in den letzten beiden Jahren mehrere Verfahren, in denen faktisch nur das Abgrenzungskriterium der fehlenden eigenen Betriebsmittel herangezogen wurde: Der Tennislehrer, der keinen eigenen Tennisplatz hat, auf dem er Stunden geben kann, darf danach in Zukunft kein Neuer Selbstständiger mehr sein. Dasselbe gilt für die Pflegerin, die kein eigenes Spital betreibt, in dem sie Patienten pflegen kann, und den Instruktor am Flugsimulator, der keines dieser Millionen Euro teuren Geräte sein Eigen nennt. Hier wird eine neue Spruchpraxis eingeführt, deren Grundlage für den Juristen nicht nachvollziehbar ist.
Die Betroffenen hätten zwar die Möglichkeit, in langen Verfahren Recht zu bekommen, mussten aber oft schon aus finanziellen Gründen davon Abstand nehmen. Immerhin gibt es im Verwaltungsverfahren keinen bzw. im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof nur einen ungenügenden Kostenersatz - und die Beiträge, um die es meistens geht, sind eher gering und erreichen nicht einmal ansatzweise die voraussichtlichen Verfahrens- und Anwaltskosten.
Deshalb gibt es auch keine aktuelle Entscheidungen, die der Rechtsansicht der Sozialversicherung widersprechen, obwohl die Anzahl der Beitragsvorschreibungen an Neue Selbstständige im Steigen ist. Offensichtlich hat die Sozialversicherung so hohe Finanzierungslücken, dass sie gewillt ist, das Rechtsinstitut des Neuen Selbstständigen faktisch zu Fall zu bringen. (Gerald Gries, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 30.11.2011)