Dienstag, 16. März 2010

Mindestsicherung - Zwischen Mindestmaß und Müßiggang

Für die Erfinder ist die neue Mindestsicherung ein sozialer Meilenstein, für die Kritiker eine Einladung zum Faulenzen - Beide Interpretationen sind übertrieben

"Keine Hängematte, sondern ein Sprungbrett" : Von Sozialminister Rudolf Hundstorfer abwärts versuchen die Erfinder prophylaktisch, ihre Schöpfung zu verteidigen. Noch ehe sie eingeführt ist, steht die Mindestsicherung im Verdacht, zum Müßiggang zu verleiten. Dabei wurde das Rad keineswegs neu erfunden: Vieles, was nun gepriesen oder kritisiert wird, war längst Realität.

Einheitliches Niveau

Stellten die neun Länder bisher eigene Regeln auf, werden nun Mindeststandards eingezogen. Die neue Leistung orientiert sich an der Mindestpension und beträgt derzeit 744 Euro netto im Monat für Einzelpersonen und 1116 Euro für Paare (zwölfmal im Jahr). Drei Viertel davon entfallen auf den Grundbetrag, ein Viertel auf den Wohnkostenanteil. Für die ersten drei Kinder kommen jeweils 134 Euro (18 Prozent von 744 Euro) dazu, ab dem vierten Kind nur 15 Prozent.

Anspruch hat jeder, der seinen Lebensunterhalt nicht aus eigener Kraft bestreiten kann - was von Fall zu Fall geprüft wird. Doch Vorsicht: etwaige Einkommen, auch Arbeitslosengeld, werden gegengerechnet (siehe Beispiele rechts). Bezieher bekommen nur die Differenz aufs Niveau der Mindestsicherung ausbezahlt.

Eine Einladung, weniger zu arbeiten? Das Sozialministerium kontert mit einer Rechnung: Wer nach Mindestlohn bezahlt wird, komme auf ein um ein Drittel bzw. 3000 Euro höheres Jahreseinkommen als mit Mindestsicherung.

Den Ländern ist es aber nicht verboten, sich großzügiger zu zeigen. Oberösterreich hat etwa angekündigt, die Mindestsicherung 14-mal im Jahr auszubezahlen.

Arbeitswillig, aber versichert


Wer kann, der muss sich vom Arbeitsmarktservice vermitteln lassen - oder mit gekürzten Leistungen rechnen. Dafür sind Mindestsicherungsbezieher krankenversichert und erhalten eine E-Card. Bisher waren sie auf die komplizierte "Krankenhilfe" angewiesen.

Vermögen verscherbeln


Bis zu einer Grenze von 3720 Euro müssen Bezieher ihr Hab und Gut ausgeben, ehe staatliche Leistungen fließen. Dazu zählen Lebensversicherungen, Bausparer und auch Autos, sofern nicht wegen Berufs oder Behinderung benötigt. Im Eigenheim darf gewohnt werden, jedoch lässt sich das Amt nach sechs Monaten im Grundbuch eintragen, um im Fall von Verkauf oder Vererbung Geld zurückzufordern. Nicht mehr zur Kasse gebeten werden Familienangehörige.

Höhere Notstandshilfe

Vor allem Frauen sollen von Verbesserungen profitieren, die im Sozialpaket vom Dienstag ebenfalls auf Schiene gebracht wurden: Bisher wurde bei Niedrigverdienern und Familien nur das Arbeitslosengeld mit sogenannten Ergänzungsbeträgen aufgefettet, nun wird dieser Vorteil auch in die nächste Stufe, die Notstandshilfe, mitgenommen. Das eingerechnete Partnereinkommen soll überdies nicht mehr zu so massiven Kürzungen führen wie bisher. Laut Sozialministerium werden drei Viertel aller Notstandshilfebezieher mehr Geld bekommen, im Schnitt 100 Euro zusätzlich im Monat.

All diese Nebengeräusche eingerechnet, belaufen sich die Zusatzkosten für den Bund auf 160 Millionen, für die Länder auf maximal 50 Millionen Euro. 270.000 Menschen werden laut Ministerium von den Neuerungen profitieren. Unter Hängematten-Verdacht stehen weit weniger: Nur 17.000 Menschen haben bisher dauerhaft Sozialhilfe in Anspruch genommen. (Gerald John, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17.3.2010)

Seite des Sozialministeriums:
http://bmsk2.cms.apa.at/cms/site/liste.html?channel=CH1018