Sonntag, 3. Juli 2011

Zwischen Selbstausbeutung und Perfektionsdrang

Wer die eigenen Bedürfnisse hintanstellt, kann in einen Teufelskreis aus Überlastung und Erschöpfung geraten

Sie fühlen sich ausgelaugt und erschöpft, sind ständig unter Strom und gereizt und können auch nach Dienstschluss oder am Wochenende nicht zur Ruhe kommen. Burnout nennt sich das Phänomen, das heutzutage in aller Munde ist und nicht nur Top-Manager trifft. "Jeder kann davon betroffen sein", so der Klinische- und Gesundheitspsychologe Boris Zalokar, der auch im Bereich der Arbeits- und Organisationspsychologe tätig ist. Besonders gefährdet sind Menschen, die unter Doppel- und Mehrfachbelastungen leiden.

"Ein Burnout entsteht nicht von heute auf morgen, sondern über einen längeren Zeitraum, über Wochen oder Monate hinweg", betont der Psychologe und differenziert das Erkrankungsbild von wiederkehrenden Stresszuständen und einmaligen Überlastungen. Körperliche und psychische Erschöpfung, eine psychische Leere und das sogenannte Depersonalisationsphänomen, das durch Zynismus und abwertende Haltung gegenüber anderen Menschen und dem eigenen Umfeld gegenüber gekennzeichnet ist, sind typisch für das "Ausgebranntsein". Dazu kommt ein massiver Leistungseinbruch, während die eigenen Freunde und Familie immer mehr zu "Zeit- und Energieräubern" mutieren.

Eigene Bedürfnisse im Hintergrund

"Häufig kommt es zu einem frühen Verlust der Wahrnehmung eigener Bedürfnisse. Der Kontakt zu sich selbst geht verloren," beschreibt der Psychologe, was ein Burnout im Detail mit dem Individuum Mensch macht. All das passiert am Anfang schleichend und unbemerkt, mit der Zeit nimmt jedoch die körperliche und seelische Erschöpfung und Vernachlässigung zu. Auf die Frage nach den eigenen Sehnsüchten und Wünschen fällt den Betroffenen am Höhepunkt ihrer Erkrankung nicht mehr viel ein.

Die Ausbeutung der eigenen Persönlichkeit nimmt ihren Lauf. Das Wort "Nein" existiert nicht mehr und die Kollegenschaft freut sich darüber, dass die Arbeit so klaglos und uneingeschränkt übernommen wird. Dass sich hinter diesem Nicht-Nein-Sagen-Können der Wunsch nach mehr Anerkennung und Wertschätzung verbirgt, ist den Betroffenen in ihrem eigenen Handeln gar nicht bewusst. Das geringe Selbstwertgefühl wird zum inneren Motor und wenn das ersehnte Lob kommt, dann fällt das Nein-Sagen beim nächsten Mal umso schwerer.

Sensibilisierungsarbeit

Hilfe von anderen lehnen ausgebrannte Menschen aber ab. "Sie wollen den Druck, den sie im familiären oder beruflichen Umfeld haben, aushalten. Ganz nach dem Motto: Ich muss funktionieren," erklärt der Psychologe den Grund, warum viele Betroffene erst dann Hilfe in Anspruch nehmen, wenn der Leidensdruck eigentlich schon zu groß ist. Aufhalten lässt sich diese Entwicklung mit Hilfe von Prävention durch Sensibilisierung, so der Experte. Er will das "Darüberreden" enttabuisieren, auch um die Angst vor Stigmatisierung zu reduzieren. Werden beginnende Schlafstörungen und Spannungszustände richtig interpretiert, dann lässt sich ein maximaler Erschöpfungszustand mit einer professionellen Behandlung noch aufhalten.

Die therapeutischen Möglichkeiten sind gut aber teuer. Zwar gibt es in Österreich Zuschüsse von den Krankenkassen, die verbleibenden Kosten sind für viele Patienten aber trotzdem unerschwinglich. "Viele Betroffene weichen daher auf niederschwelligere Angebote aus, bräuchten aber eigentlich andere therapeutische Angebote," so Zalokar.

Wege aus der Erschöpfung

Einen Gang runter zu schalten oder einfach mal entspannen sind da zwar gut gemeinte aber wenig hilfreiche Ratschläge. Denn gerade mit dem " Abschalten" tun sich die Betroffenen schwer. Zalokar plädiert für einen behutsamen Zugang: "Das ist für viele zu konfrontativ - so wie wenn ich von Hundert auf Null abbremsen würde." In der psychologischen Beratung lernen die Patienten deshalb Zugang zu den eigenen Bedürfnissen zu finden, Prioritäten und Grenzen zu definieren, um dem Teufelskreis aus Mehrfachbelastung, Leistungserwartung und Erschöpfung erfolgreich zu entkommen. (derStandard.at, 26.06.2011)

Alkan Güler
26. Juni 2011