Freitag, 25. Februar 2011

Konflikte in Unternehmen sind der Normalfall

Damit sie nicht eskalieren, brauche es eine institutionalisierte Streitkultur, meint Ökonom und Führungskräftecoach Walter Ötsch

"Ob ein Konflikt vorliegt oder nicht, ist ja manchmal ein Wahrnehmungsproblem", sagt Walter Ötsch, Ökonom und Kulturwissenschafter, "es geht immer auch um Deutungen". Ötsch warnt Führungskräfte davor, Konflikte objektivieren zu wollen und plädiert für ein institutionalisiertes Konfliktmanagement. Wie so ein Modell aussehen könnte, erklärt er im Interview mit derStandard.at.

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derStandard.at: Was kann man als Führungskraft tun, um eine gesunde Konfliktkultur im eigenen Unternehmen zu etablieren?

Ötsch: Da kann man eine Menge tun. Die Frage ist, wie man sich als Führungskraft definiert. Man kann hier mit sehr unterschiedlichen Arten von Persönlichkeit erfolgreich sein. Ein Beispiel ist das Konzept "Führungskraft als Coach" oder noch weit gehender "Management by Mediation". Hier verschmelzen das traditionelle Bild des Managers mit dem des Mediators - an und für sich zwei getrennte Bilder. Aber das ist immer von der Art der Branche und des Personals abhängig.

derStandard.at: Wieso ist Konfliktmanagement branchenspezifisch?

Ötsch: Ein wichtiger Aspekt ist: Wo in der Firma steht die Marktorientierung im Vordergrund und wo nicht? Die Firmenorganisation steht ja immer mit Märkten in einem Spannungsverhältnis. Die Firma kann intern nicht wie ein Markt sein, muss sich aber nach außen hin an Märkten orientieren. Es gibt hier zwei gegenläufige Trends. Zum Ersten eine steigende Marktorientierung. Stichworte sind: größere Flexibilisierung, Globalisierung, auch ein Umdenken in der Exportorientierung. Wenn jemand als Manager wirklich global denkt, stellen sich die Fragen ganz anders.

derStandard.at: Inwiefern?

Ötsch: Im Grunde genommen wird hier die Fähigkeit, Konflikte zu lösen, in bestimmten Teilen in das Personal hineindelegiert. Wenn das nicht funktioniert, werden die schnell entlassen. Die Reaktion auf Konflikte ist hier sehr unmittelbar: schneller Abbruch von Beziehungen, flexibel was Neues suchen. Das ist die eine Richtung.

derStandard.at: Und die andere?

Ötsch: Die andere Art kann man gut daran beobachten, wie die Unternehmen auf die Krise ab 2008 reagiert haben. Bemerkenswert war ja, dass die Beschäftigung nicht sehr stark zurückgegangen ist. Zum einen hat das mit einer klugen Politik zu tun, sprich Förderung von Kurzarbeit durch den Staat. Zum anderen hat man sich stark auf interne Leistungsträger konzentriert. Hier gibt es eine Gemeinschafts- und Beziehungsorientierung. Wenn das im Vordergrund steht, dann bedeutet es, dass man den Markt partiell außer Kraft setzt.

derStandard.at: Was ist dabei entscheidend?

Ötsch: Wie halten wir die Schlüsselkräfte? In diesem Personalbereich ist die Bereitschaft viel größer, Konflikte zu lösen, mehr auf Konsens zu arbeiten, auf schwache Signale zu achten, proaktiv auf Konflikte zuzugehen, interkulturelle Kompetenzen zu schulen, etc. Hier kann das Konzept "Management by Mediation" zur Anwendung kommen.

derStandard.at: Was bedeutet "Management by Mediation"?

Ötsch: Wir bieten einen Masterlehrgang "Mediation und Konfliktmanagement" an. Hier lernt man, wie man vorbeugend auf Konflikte reagieren kann, bis hin zur institutionellen Etablierung von Konfliktmanagementsystemen in Firmen. Man geht davon aus, dass Konflikte in Unternehmen der Normalfall sind, sie brauchen kein großes Erstaunen auslösen. Für diesen Normalfall gibt es geschultes Personal mit genau festgelegten Rollen. Ein Beispiel sind Konfliktlotsen, die nach einem institutionalisierten Ablauf bei Konflikten - wenn sie gefragt werden - reagieren. Hier werden systematisch Mediationstools eingesetzt. Eine andere Art von Typologie ist, auf bestimmte Firmen zu schauen, ob mehr eine Kontroll- oder mehr eine Dialogkultur dominiert.

derStandard.at: Zum Beispiel?

Ötsch: Ein Beispiel aus Deutschland in der gleichen Branche sind Schlecker und DM. Bei Schlecker findet man mehr eine Kontrollkultur, bei DM mehr eine Dialogkultur. Manche behaupten, dass das auch wichtige Imagebestandteile sind, wenn man sie nach außen vermitteln kann. Die Führungskräfte von DM sind ja beispielsweise auch sozialpolitisch tätig. Die Verkaufszahlen könnten sich auch an solchen Parametern orientieren.

derStandard.at: Wie wirkt sich eine Kontrollkultur aus?

Ötsch: Natürlich könnte man bei Schleckers Kontrollkultur argumentieren, dass das ein Versuch ist, Konflikte zu minimieren. Konflikte kann man durch Kontrolle minimieren. Der längerfristige (dritte) Aspekt ist aber auch das Image nach außen. Der erste Aspekt sind die internen Auswirkungen und Verluste, der zweite zielt auf Aufträge, auf den Aufbau von Beziehungen mit Lieferanten und Geschäftspartnern. Diese drei Aspekte sind eng miteinander verknüpft. Eine Kulturumorientierung muss aber von der Führungsspitze kommen.

derStandard.at: Eine Frage der Selbstreflexion?

Ötsch: Ja. Die Basis von Führung ist Selbstführung. Wie gehen Führungskräfte selbst mit Konflikten um, die ja doch ein Normalfall sind?

derStandard.at: Wenn Sie davon sprechen, Konfliktlösung firmenintern zu installieren. Wessen Aufgabe ist das? Die des Betriebsrates?

Ötsch: Nein, das ist eine Führungsaufgabe, der Betriebsrat soll aber eingebunden sein. Personen, die für die Bearbeitung von Konflikten geschult sind, sollen ein Basiswissen über mediative Prozesse besitzen: Klare Spielregeln und Zuständigkeiten, Feedback- und Nachfragtechniken. Sie sollen auch über eine Typologie von möglichen Konflikten verfügen. Wenn ein Konflikt am Standort nicht lösbar erscheint, kann man sich einen Konfliktlotsen von einem anderen Standort nehmen, - so kann man auch hierarchische Probleme vermeiden. Ein Konfliktlotse ist eine Art Servicestelle, der die die Hierarchie nicht stören darf. Manchmal ist es auch gut, auf externe Mediatoren zurückzugreifen. Der Grundgedanke ist ein institutionalisierter Prozess von Konfliktlösungen. Jeder in der Belegschaft muss dabei wissen, dass es im Konfliktfall eine Stelle gibt, an die er/sie sich wenden kann.

derStandard.at: Wie lassen sich natürliche Spannungsverhältnisse reduzieren?

Ötsch: Hier kann ein systemisches Denken hilfreich sein. Normalerweise laufen Konflikte sehr persönlich ab: ich ärgere mich über jemanden. In der systemischen Betrachtung kann man die persönliche Betroffenheit reduzieren. In jeder Firma gibt es systemische Gegensätze, etwa zwischen Abteilungen oder Funktionen. Dass ein Konflikt auftritt, ist der Normalfall.

derStandard.at: Auf was müssen Führungskräfte achten?

Ötsch: Eine Gefahr ist auch, Konflikte rein objektiv zu denken. Ob ein Konflikt vorliegt oder nicht, ist ja manchmal ein Wahrnehmungsproblem. Es geht immer auch um Deutungen. Führungskräfte sollten die Fähigkeit haben, auf schwache Signale zu horchen. Ein schwellender Konflikt kann ja in Richtung Rückzug oder Arbeitsverweigerung gehen. Die Aufgabe einer Führungskraft sollte es sein, das zu erkennen. Die Frage, die sich aber viele Mitarbeiter stellen: Kann ich das meinem Chef überhaupt sagen?

derStandard.at: Was ist für eine intakte Kommunikationskultur noch wichtig?

Ötsch: Ein Aspekt ist die Kreativität in einem Unternehmen: was macht kreative Teams aus, was nichtkreative Teams? Kreativität, die sich auf Sachthemen bezieht, etwa neue Produkte, Technologien oder Vertriebsformen verlangt eine gute interne Kommunikation im Team. Das heißt: ein kreatives Ergebnis hat auch mit einem guten Umgang mit Unterschiedlichkeiten und Konflikten zu tun. Ein Aspekt, zu dem ich ein Buch mit einem Kollegen geschrieben habe: welche Rolle spielen Dominanz und Unterordnung im Alltag einer Firma? Da geht es um verbale und nonverbale Kommunikationsformen, wie man sich über- bzw. unterordnet.

derStandard.at: Welche Punkte müssen bei der Führung von kreativen Teams beachtet werden?

Ötsch: In der kreativen Phase ist eine bestimmte Art von Führung notwendig. Die Führungskraft sollte die Fähigkeit haben, hier nicht allzu starke Dominanzsignale zu senden. Einerseits soll sie führen, andererseits soll das nicht zu dominant ausfallen. Wenn z.B. jemand eine Idee präsentiert und die Reaktion ist: „Du mit deinen komischen Vorschlägen", dann wird diese Person in Zukunft keine kreativen Gedanken mehr äußern. Das ist eine Frage des Umgangs, der natürlich auch branchenspezifisch ist. Bei Routineprozessen brauche ich wenig Raum für Kreativität. In anderen Fällen kann das der entscheidende Wettbewerbsvorteil sein.

derStandard.at: Was ist entscheidend für gute Selbstführung?

Ötsch: Ein wichtiger Punkt ist ein Wissen über die Variabilität sozialer Wahrnehmung, wie unterschiedlich man soziale Tatbestände wahrnehmen kann. Interessant sind hier die Bilder und mentalen Modelle, die die Leute über soziale Begebenheiten entwerfen. Ein gute Führungskraft weiß, dass mentale Modelle unterschiedlich und zugleich (bei sich und anderen) veränderbar sind. Jeder lebt in gewisser Weise (auch) in seiner subjektiven Wirklichkeit. Das ist natürlich beim Auftreten von Konflikten ein entscheidender Punkt.

In diesem Zusammenhang steht auch die Visions-, Ziel- und Werteorientierung der Mitarbeiter. Das ungenützte Potenzial von vielen Mitarbeitern ist ungemein groß. Welche Zukunftsbilder kann die Führungskraft vermitteln und wie kann man die Mitarbeiter für die Ziele begeistern? Hier geht es nicht um fade Firmenleitbilder, sondern um die Skizzierung von Visionen, die gelebt werden. Freilich ist das nur für bestimmte Teile des Personals relevant, für andere kann es dysfunktional sein.

derStandard.at: Für welchen Teil ist das relevant?

Ötsch: Für jenen Teil der Belegschaft, den man als interne Leistungsträger, als Schlüsselkräfte definiert. Der Fokus liegt auf dem qualifizierten Personal. Jene, die die eigentliche Wertschöpfung für die Firma bringen. (Oliver Mark, derStandard.at, 21.2.2011)

WALTER ÖTSCH (Jahrgang 1950) ist als Uni-Professor an der Johannes Kepler Universität in Linz tätig. Er ist Leiter des Zentrums für soziale und interkulturelle Kompetenz, Leiter des Instituts für die Gesamtanalyse der Wirtschaft, Mitarbeiter am Institut für Volkswirtschaftslehre sowie Trainer und Coach an der Linzer Akademie für NLP.

Er ist Autor zahlreicher Publikationen, zuletzt erschien das Buch "Mythos Markt - Marktradikale Propaganda und ökonomische Theorie".

Quelle:
Interview mit Walter Ötsch
von Oliver Mark | 21. Februar 2011, 10:47
Der Standard